Die heitere Muse als Dorfschönheit

Im Gespräch mit Andreas Schwarze, Dramaturg (Teil 5)

Veröffentlicht am Dienstag, 15. September 2015

Marion Neumann im Gespräch mit Andreas Schwarze, Dramatur an der Staatsoperette Dresden. In dieser Ausgabe geht es um Reinhold Stövesand, der 1978 die Leitung des Leubener Theaters übernahm und damit damals jüngster Intendant in der DDR war.

Stefan Heym und das Ensemble bei der Premiere des Stücks »Der König David Bericht«, 1989. Foto: Archiv Staatsoperette

Stefan Heym und das Ensemble bei der Premiere des Stücks »Der König David Bericht«, 1989.

Foto: Archiv Staatsoperette

»Das auf größte Nachhal­tigkeit bedachte Theater- und Musik­schaffen Fritz Steiners an der Staats­ope­rette Dresden sollte eine würdige Nachfolge erfahren«, betont Andreas Schwarze in Hinblick auf Reinhold Stövesand, »geprägt von seinem Mentor und Freund Fritz Steiner für ein realis­ti­sches, volks­tüm­liches Musik­theater, wollte er mit Leib und Seele Musical-Darsteller werden.«
Der jüngste Intendant

Im Juni 1978 trat er dessen Nachfolge im Leubener Theater an und wurde mit 39 Jahren der damals jüngste Intendant der DDR. Als Ensem­ble­leiter hielt sich Stövesand an die Grund­sätze seines Vorgängers: Mensch­lichkeit, Toleranz und Freiheit der Kunst hatten für ihn immer Vorrang vor Staats­raison und Partei­dis­ziplin. Er war stets ganz nahe bei seinen Künstlern und Mitar­beitern. Stammte er doch selbst aus einer bekannten Dresdner Schau­spiel­er­fa­milie und hatte das Theater­handwerk von der Pike auf gelernt. Als Tellknabe stand er mit zwölf Jahren auf der Bühne des Großen Hauses. 1965 gastierte er erstmals im Leubener Theater in der Rolle des Algernon in »Mein Freund Bunbury«. Bis 1988 sollte er über 30 Rollen spielen.

Reko, Spitzen-Musicals und klassische Operetten

Auf dem Hinter­grund einer schein­baren Konso­li­dierung der Verhält­nisse in der Gesell­schaft entwi­ckelte sich Dresden zur Stadt mit dem zweit­höchsten Lebens­standard in der DDR. Industrie und Forschung boomten und Tausende Dresdner zogen aus ihren maroden Altbau­woh­nungen in die Neubau­viertel Prohlis und Gorbitz. Der rekons­truierte und erwei­terte Theaterbau sowie ein abwechs­lungs­reicher Spielplan aus einem anspruchs­vollen Mix von Spitzen-Musicals und klassi­schen Operetten trafen auf ein inter­es­siertes Publikum.

Als musika­li­scher Oberspiel­leiter agierte Manfred Grafe als Meister des Taktstockes und überzeugte als stilsi­cherer und einfalls­reicher Arrangeur und Komponist. Die tsche­chi­schen Dirigenten Vládimir Brázda und Miroslav Homolka berei­cherten mit ihrer böhmi­schen Musika­lität die Insze­nie­rungen. Zum bewährten Regie-Profi Rudolf Schraps, welcher viele Jahre lang mit seinen Insze­nie­rungen die Erfolgs­ge­schichte der Staats­ope­rette geschrieben hatte, gesellte sich der Regisseur Horst Ludwig und blieb bis 1987 Oberspiel­leiter. Das Ballett­ensemble und der Chor erreichten unter der Leitung von Ballett­meis­terin Ingeborg Kassner und Chordi­rektor Siegfried Fischer hohe Qualität und Ausstrahlung. Trotz ideolo­gi­scher Maßre­gelung aus Berlin brachte Stövesand mit seinem Leitungsteam Operetten aller Epochen auf die Bühne. Dazu gehörte 1981 Lehárs »Lustige Witwe« mit Ulrike Buhlmann und Stargast Jürgen Hartfield als Hanna und Danilo.

Ein Erlebnis in barocker Kulisse – der Autor und Dramaturg Siegfried Blütchen initi­ierte die Konzert­reihe »Zwinger­me­lodie«. 1978 kam der bekannte Synchron­sprecher, Schau­spieler und Regisseur Walter Niklaus als Gastsolist an die Elbe. Mit der Inter­pre­tation des subtilen Kammer-Musicals »The Fantasticks« stellte er 1982 seine außer­ge­wöhn­liche Begabung als Zauberer der Bühne und Theater­lehrer für Sänger und Schau­spieler unter Beweis.

Der Tanz mit der Macht

Brisante, aufrüt­telnde Insze­nie­rungen in den gelun­genen Ausstat­tungen von Siegfried Rennert und Bernd Leistner wurden Programm. Die Choreo­gra­finnen Eva Reinthaller und Monika Geppert sorgten für einen Innova­ti­ons­schub. In ihren Rollen mit klaren Zeitbe­zügen und gesell­schafts­kri­ti­schen Aussagen brillierten unter anderem die Solisten Gottfried Richter, Klaus Pönitz und Bettina Weichert und rissen ihr Publikum zu Beifalls­stürmen hin. Die Staats­ope­rette wurde führend in ihrem Genre, drängte nach neuem, modernem Musik­theater. Sie machte von sich reden trotz Überwa­chung und ideolo­gi­scher Einfluss­nahme durch die Staats­si­cherheit und Partei­gremien. Absurd, aber dem Offen­bach­stück »Daphnis und Chloe« wurden »schäd­liche pazifis­tische Tendenzen« unter­stellt. Der Regisseur Niklaus musste Änderungen vornehmen. Doch trotz geprie­sener »Einheit von Wirtschafts- und Sozial­po­litik« steuerte man letztlich in den Staats­bankrott. In diesen letzten angespannten Jahren der DDR gelangen Reinhold Stövesand mit den Regis­seuren Walter Niklaus und Klaus Winter und dem Orches­ter­leiter MD Volker Münch drei theatra­lische Groß­ereignisse von Format: »Evita« (1987), »Alexis Sorbas« (1988) und »Der König David Bericht« (1989) nach Stefan Heym. Als der Autor im Mai 1989 vom Premie­ren­pu­blikum gefeiert wurde, war Stövesand bereits ein halbes Jahr Intendant des Fried­rich­stadt-Palastes in Berlin.

(Fortsetzung folgt)

Marion Neumann

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