Sergej Rachmaninow in Blasewitz
Vor 90 Jahren begannen seine fünf Sommeraufenthalte im »Fliederhof«
Veröffentlicht am Freitag, 18. Juli 2014
Der russisch-amerikanische Komponist, Pianist und Dirigent Sergej Wassiljewitsch Rachmaninow (1873–1943) prägte die Musik des 20. Jahrhunderts nachhaltig. Dazu hatte vor allem seine Zeit in Dresden beigetragen. Von 1906 bis 1909 war er ein erstes Mal mit seiner Frau und seiner Tochter in Dresden, wo er nahe dem Großen Garten lebte und arbeitete. Zeitlebens blieb Rachmaninow von diesen Jahren in der sächsischen Landeshauptstadt begeistert...
Der russisch-amerikanische Komponist, Pianist und Dirigent Sergej Wassiljewitsch Rachmaninow (1873–1943) prägte die Musik des 20. Jahrhunderts nachhaltig. Dazu hatten vor allem seine Dresdner Jahre wesentlich beigetragen. Sie waren durch die Entwicklungen in der Heimat zustande gekommen. Von 1906 bis 1909 war er ein erstes Mal mit Frau Natalja (1877–1951) und Tochter Irina (1903–1969) in Dresden, wo er nahe dem Großen Garten, in der Sidonienstraße, lebte und arbeitete. Zeitlebens blieb Rachmaninow von diesen Jahren begeistert. Hier wurde 1907 seine Tochter Tatjana (1907–1961) geboren, hier kam es beispielsweise zur dauerhaften Freundschaft mit dem impressionistischen Maler Prof. Robert Sterl. Eine fruchtbare Periode seines Schaffens wurde in der wunderschönen Stadt eingeleitet.
Im Jahre 1917 war er zum Exilrussen geworden und lebte mit der Familie in Paris. Die Villa »Fliederhof« in Dresden-Blasewitz betrat er zum ersten Mal im Frühjahr 1922. Der Schauspieler und Mitbegründer des Deutschen Theaters Berlin, Siegwart Friedmann, hatte sich die prächtige Historismusvilla 1892/93 vom renommierten Dresdner Architektenbüro Schilling&Gräbner an der Emser Allee 5 (seit 1949 Goetheallee 6) errichten lassen. Der Generaldirektor der Filzfabrik in Dittersdorf bei Chemnitz Wilhelm Schuncke und seine Frau hatten das Anwesen 1918 für 180.000 Goldmark von den Erben des Mimen gekauft. Die Tante und Schwiegermutter Rachmaninows, W. A. Satina, war 1921 dauerhaft in die Gefilde der einzigartigen Dresdner Historismus-Villenkolonie Blasewitz gezogen und bekam Kontakt mit den Schunckes. Diese hielten den »Fliederhof« als Kunst- und Musikliebhaber, selbst einer 300 Jahre lang weitverzweigten Musikerfamilie entstammend, stets für die Musikkultur Dresdens offen. So kam Rachmaninow erstmals im Frühjahr 1922 mit der Familie zusammen. Schließlich wohnten die beiden Familien fünf Jahre sogar jeden Sommer im »Fliederhof« zusammen. In der Ruhe dieser Wohnlage konnte sich Sergej Rachmaninow hervorragend auf seine Winterkonzerte in Europa vorbereiten.
Künstlertreff im Fliederhof
Am 24. September 1924 schloss Tochter Irina in der Dresdner russisch-orthodoxen Kirche an der Reichsstraße (heute Fritz-Löffler-Straße) mit dem Großfürst Pjotr Wolkonski, den Lew Tolstoi in seinem Roman »Krieg und Frieden« porträtiert hatte, die Ehe. Anschließend fand die Hochzeitsfeier im »Fliederhof« statt. Hier entstand 1926 die erste Fassung seines 4. Klavierkonzerts op. 4. Im Sommer 1928 erhielt er die ersehnte Nachricht über den voll besetzten Tourneeplan für Europa. Dann brachte die Weltwirtschaftskrise von 1929 den Musiker um einen beträchtlichen Teil seines Vermögens. Als er 1935 ein letztes Mal im »Fliederhof« war, verkündete er, dass er in die USA auswandern werde.
Andenken an Rachmaninow
Längst war Rachmaninow im kalifornischen Beverly Hills verstorben, da gab es in Dresden-Blasewitz noch bis 1979 in der Villa »Fliederhof« wohlgehütete Erinnerungsstücke an ihn. Die Gesangspädagogin Senta Kutzschbach, die u. a. Peter Schreier unterrichtete, wohnte nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1979 im Gebäudes, wo sie nicht nur die von Richard Strauss für ihren Vater, Hofkapellmeister Hermann Kutzschbach, signierten Partituren der Dresdner Uraufführungen sorgsam aufbewahrte. Hier war sie vor allem die Hüterin der Erinnerungen an Rachmaninow im »Fliederhof«.
Nachdem das Gebäude die Luftangriffe auf Dresden mit nur wenig Schäden überstanden hatte, bot die in der BRD lebende Familie Schuncke Anfang der 70er Jahre die Villa der Hochschule für Musik »Carl Maria von Weber« als Geschenk an. Zunächst hocherfreut darüber musste Rektor Prof. Karl Laux die Ablehnung der Dresdner Behörden zur Kenntnis nehmen, dass man sich »nichts von Kapitalisten schenken lassen dürfe« und eine Gedenkstätte für den »Klassenfeind Rachmaninow« nicht infrage komme. Familie Schuncke verkaufte Haus- und Grundbesitz dem Ärzteehepaar Flach 1974 gegen eine Pro-forma-Zahlung von 26.450 DDR-Mark.
Am 25. Juni 1979, zwei Tage nach der Ehescheidung, zündete Frau Flach das Haus an, in dem sie sich mit Dr. Flach und den drei Kindern befand. Nur noch tot konnten er, sie und der jüngste Sohn geborgen werden. Frau Kutzschbach floh mit einer Schwester des Josefstifts, alles zurücklassend, in den Garten.
Damit ging die einmal erdachte Gedenkstätte an Rachmaninows Aufenthalte in Dresden-Blasewitz für immer verloren.