Wie die Wende vor 25 Jahren begann
Im Gespräch mit Frank Richter, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung
Veröffentlicht am Donnerstag, 20. November 2014
Im Gespräch mit Frank Richter, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung
Herr Richter, der Tag des Mauerfalls jährt sich zum 25. Mal. Wie haben Sie diesen Tag erlebt?
Ich habe von der Tatsache, dass die Berliner Mauer gefallen ist, erst am 10. November erfahren. Wahrscheinlich war ich dienstlich unterwegs, ich kann es heute nicht mehr genau sagen. Die Information und damit die Freude kam bei mir also erst einen Tag später an. Mir war wohl klar, dass die DDR in vielerlei Hinsicht an ihr Ende kommen würde oder bereits am Ende war. Aber dass Mauer und Grenzregime so schnell fallen und sich die Möglichkeit der Wiedervereinigung ergeben würde, habe ich tatsächlich nicht absehen können.
Wie ordnen Sie die »Gruppe der 20« in den historischen Kontext ein?
Die Gruppe der 20 ist ein Unikat für die Stadt Dresden und darüber hinaus. Sie wurde ja bereits Ende Oktober 1989 als basisdemokratische Fraktion von der Stadtverordnetenversammlung Dresden anerkannt, mit Rederecht aber ohne Stimmrecht. Sie ist aus einer Demonstration heraus entstanden, auf der Straße, und erfüllte genau die Funktion, die in anderen Orten und Städten von den Runden Tischen wahrgenommen wurde. Die Gruppe der 20 war im Kontext der friedlichen Revolution auch deshalb eine Besonderheit, weil sie bereits am 8. Oktober gegründet wurde. Schon am Vormittag des 9. Oktober verhandelte der damalige Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer mit den Mitgliedern der Gruppe im Dresdner Rathaus. Am Abend des Tages wurden die Ergebnisse dieser Gespräche in vier Dresdner Kirchen bekannt gegeben. 40.000 Menschen kamen damals zusammen. Wir Dresdner sollten Wert darauf legen, dass die friedliche Revolution in dieser Stadt schon sehr früh Erfolge zeitigte, nämlich bereits am Abend des 9. Oktobers, als in Dresden die ersten Bürgerversammlungen stattfanden, genau zu dem Zeitpunkt, als in Leipzig die 70.000 um den Ring zogen. In aller Regel aber sind sich die Historiker einig, die Ereignisse in Leipzig als den Durchbruch für die friedliche Revolution zu werten. Das, was in Dresden vor sich ging, aber war nicht weniger bedeutsam.
Wie haben Sie Herrn Berghofer als Verhandlungspartner erlebt?
Ich erinnere mich daran, dass er uns gegenüber zum Ausdruck bringen wollte, dass nicht nur wir Mut bewiesen und ein großes Risiko eingingen. Gleiches reklamierte Herr Berghofer für sich, weil er als erster hochrangiger staatlicher Funktionär in der DDR Verhandlungen mit Oppositionellen aufnahm. Ohne seine Verhandlungsbereitschaft wären die Demonstrationen fortan nicht friedlich verlaufen. Man muss sich vor Augen führen, dass es noch bis in die Abendstunden des 8. Oktobers polizeiliche Gewalt gegen Demonstranten, Verhaftungen und Zuführungen gab.
Berghofers Entscheidung, mit den Demonstranten zu reden und am nächsten Tag die Gruppe der 20 zu empfangen, hatte die Situation in Dresden grundlegend verändert. Auf jeden Fall stelle ich fest, dass er dazu beigetragen hat, dass die Revolution in Dresden friedlich wurde und auch friedlich blieb.
Demokratische Mitbestimmung, Wahlfreiheit, Presse- und Meinungsfreiheit waren zentrale Themen im Herbst 1989. Was ist daraus geworden?
Am Abend des 8. Oktobers, als die Gruppe der 20 auf der Prager Straße gegründet wurde, sind uns acht Forderungen aus der Menge zugerufen worden. Das waren eben Wahlfreiheit, Pressefreiheit, Demonstrationsfreiheit, die Zulassung des Neuen Forums, Reisefreiheit, die Einführung eines zivilen Ersatzdienstes, die Freilassung der politischen Häftlinge und die Forderung nach einem friedlichen Dialog mit der Gesellschaft. Was damals auf der Straße eingefordert wurde, ist innerhalb kürzester Zeit Realität geworden. Inwieweit diese Freiheiten heute auch genutzt werden, um unser demokratisches Gemeinwesen mitzugestalten, steht auf einem anderen Blatt.
(Es fragte Steffen Möller.)